Am 11. Oktober war es wieder soweit! Vollbepackt mit zwei Koffern, Handgepäck sowie einem Karton mit Sattel und anderer Ausrüstung, alles in allem 40 statt der erlaubten 20 Kilogramm, fuhr ich am Montagmorgen um sechs nach Frankfurt zum Flughafen. Nach einem herzlichen Wiedersehen mit meiner indischen Familie saß ich dann schließlich mit Manjit und ihren drei Kindern im Flugzeug nach Indien. Im Frühjahr war ich schon einmal dort. Damals fragten mich Manjit und ihr Mann Baljit, ob ich bereit wäre, mit ihnen nach Indien zu kommen, um dort ihre Pferde auszubilden. Sie hatten drei Friesenhengste und zwei Friesenstuten nach Indien importiert, die einzigen Friesen in ganz Indien.
Nun sollte es für weitere drei Wochen dorthin gehen. Waren im Frühjahr noch sehr widersprüchliche Gefühle dabei – ich kannte weder Land noch Leute noch die dortigen Gepflogenheiten – so freute ich mich diesmal sehr auf die Reise, und darauf, die Menschen dort alle wiederzusehen ebenso wie auf das gute Essen. Das einzige, das mir ein schlechtes Gewissen verursachte, war, meine eigenen Pferde drei Wochen allein zu lassen. Glücklicherweise habe ich liebe Freunde, die sich in meiner Abwesenheit um sie kümmerten, und mir so dieses Abenteuer erst ermöglichten. Schade war auch, dass mein Partner Cor de Jong aufgrund seiner Verletzung noch nicht soweit genesen war, dass er mitkonnte.
Nachts um eins landeten wir schließlich bei 28 Grad in Delhi. Baljit, der schon zwei Wochen vorher geflogen ist um die Pferde vorzubereiten, holte uns ab. Hatte ich die Autofahrt vom letzten Mal noch als Grauen in Erinnerung, so ging es diesmal etwas gepflegter zu. Vielleicht auch nur, weil ich mich langsam an das Chaos auf indischen Straßen gewöhnte. Meine vorsorglich mitgebrachten Reisetabletten brauchte ich jedenfalls nicht. Auch diesmal kamen wir wieder pünktlich zum Frühstück am Bestimmungsort an. Das Wiedersehen verlief mit großer Freude. Von meiner indischen Mutter wurde ich als ihre „german daughter“ herzlichst in die Arme geschlossen, und auch andere bekannte Gesichter kamen, um uns zu begrüßen. Ich fühlte mich als Teil der Familie sehr heimisch. Nach ein paar Stunden Schlaf war ich dann sehr gespannt auf die Pferde. Beim letzten Mal hatte ich einen Trainingsplan für jedes Pferd aufgestellt, und Balfit hatte sich sehr genau daran gehalten. Allerdings konnten die Sommermonate über nicht mit den Pferden gearbeitet werden, da es viel zu heiß war. Baljit zeigte mir, was er mit den Hengsten gemacht und wie er gearbeitet hatte, und am Ende zeigten er und Gagana mir stolz, dass sie den Warmbluthengst Classico eingeritten hatten. Und stolz konnten sie auch sein, denn sie hatten hervorragende Arbeit geleistet! Classico ließ sich an der Longe in Schritt, Trab und Galopp reiten, die Friesen Ouke und Menso waren deutlich in Stellung und Biegung verbessert und Thomas, den wir im Frühjahr eingeritten hatten, ließ sich frei in Schritt, Trab und Galopp reiten und ging erst Seitengänge. Auch den Spanischen Schritt hatten die Pferde nicht vergessen, und Baljit war nun an der Doppellonge schon recht sicher. Sehr deutlich hatte sich auch sein Sitz und die Hilfengebung verbessert. Es freute mich sehr, dass alle so Fortschritte gemacht hatten.
Da die Pferde im Galopp noch etwas Schwierigkeiten hatten, wurde in der nächsten Zeit daran gearbeitet. Wir feilten an Übergängen, Biegung und an den Seitengängen, arbeiteten an der Doppellonge und unter dem Sattel. Thomas sollte das Steigen lernen. Außerdem gab es regelmäßig Unterricht für alle. Auch Stute Remke war diesmal mit von der Partie, sie überraschte mich, da sie noch nicht viel geritten war, aber doch schon ganz gut lief. Die Temperatur war diesmal noch höher als im Frühjahr, so dass wir die Pferde nur morgens und abends arbeiten konnten. Jetzt zeigte sich, dass die Pferde gerne in ihre dunklen, mit Ventilatoren gekühlten Boxen standen und nur ungern in die Hitze hinausgingen. Auch Mauke war aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit ein großes Problem. Da es abends recht früh dunkel wurde, wurden kurzerhand zwei helle Scheinwerfer am Reitplatz angebracht, damit wir bei angenehmen Abendtemperaturen im Flutlicht arbeiten konnten.
Diesmal stand außer dem Dressurtraining auch ein Ausritt in die herrliche Landschaft auf dem Programm. Frühmorgens wurden die drei Hengste gerichtet und Manjit, Tochter Balraj und ich stiegen in den Sattel. Die anderen folgten auf dem hofeigenen Traktor. Es zeigte sich nun, dass durch die Regenzeit alles noch grüner und saftiger war als in Frühjahr, und eine traumhafte Tier- und Pflanzenwelt eröffnete sich uns. Bunte Papageien und große Echsen waren zu sehen, bizarr geformte Schmetterlinge begleiteten uns, und am Wegesrand wuchsen riesige Kakteen, blühende Rhizinusstauden und meterhohes Pampasgras. Fast 24 km ging es auf einem Sandweg, der zu Trab und Galopp nur so einlud, an einem Flussbett entlang. Überall auf den Feldern waren Arbeiter bei der Reisernte zu sehen, doch als wir vorbeikamen, ließen sie die Arbeit liegen und liefen zusammen, um die Pferde zu bestaunen. Friesen hatte man hier noch nie gesehen. Wo es denn solche Pferde gäbe, wollten sie wissen. Abends nach getaner Arbeit folgte dann ein erfrischendes Bad unter freiem Sternenhimmel im hauseigenen Pool.
Doch dass das Wetter auch anders konnte, zeigte sich am nächsten morgen. Den ganzen Tag über herrschte Dunkelheit, und es regnete so stark, dass in minutenschnelle Felder, Wiesen und auch der Stall überschwemmt waren. An diesem Tag hatten die Pferde ungewollt frei. Der Regen hatte aber auch etwas Abkühlung gebracht, und die Temperaturen waren danach wesentlich angenehmer. So arbeiteten die Pferde dann auch recht gut mit, als ein Filmteam da war, um die Pferde zu filmen und zu fotografieren. Die verbleibenden Tage arbeiteten wir intensiv an den Seitengängen, und ein Pferdewechsel verdeutlichte Baljit und seiner Tochter die Hilfengebung. Ein englischer Tierarzt, den ich schon beim ersten Mal kennengelernt hatte und der auch diesmal zeitgleich dort war, untersuchte die Pferde und bestätigte eine deutliche Verbesserung des Muskelaufbaues.
Sehr viel schneller als gedacht kam der Tag des Abschiedes. Einen letzten Tag verbrachten wir noch in Delhi, um die Stadt anzuschauen, und schon saßen wir wieder im Flugzeug zurück nach Deutschland. Auch im nächsten Jahr stehen wieder zwei Aufenthalte in Indien auf dem Plan. Da die Pferde jedoch auch in der Zwischenzeit gearbeitet werden müssen, suchen wir ein „Reit-Au-Pair“. Jemand, der gerne in eigener Verantwortung Pferde reiten kann und für mindestens ein halbes Jahr oder länger nach Indien gehen möchte.
Ich jedenfalls freue mich sehr auf das nächste Mal, dann hoffentlich zusammen mit Cor!
Die ganze Familie: von links: Baljits Vater, Baljit, Sohn Amitt, Baljits Mutter, Tochter Balraj, Tatjana, Sohn Adjet, Manjit.
Tochter Balraj auf Ouke
Thomas lernt das Steigen
Menso mit Baljit
Der jüngste im Bunde: der 4jährige Thomas
Anfänger Amitt bekam Unterricht auf Menso
Manjit mit ihrer "Rennmaus" Remke
"Riesenbaby" Classico
Ausritt in die herrliche Natur...
...mit Begleitfahrzeug!
Für das leibliche Wohl...
...ist bestens gesorgt!
Am Abend gab´s ein Feuerwerk auf dem Dach des Hauses.